Ich bin jetzt ein Schreibtischnomade

Um es auf den Punkt zu bringen: Ich habe keinen Schreibtisch mehr. Und ich fühle mich gut damit.

Ich habe mein Einzelbüro lange Zeit innig geliebt und war der festen Überzeugung, dass ein solcher Rückzugsraum für eine Leitungsfunktion nicht nur angemessen, sondern auch sinnvoll sei. Ich habe das richtiggehend zelebriert, wenn ich daran zurückdenke, mit welchem Aufwand mein (35 qm großes!) Einzelbüro vor einigen Jahren renoviert und mit neuen Möbeln ausgestattet wurde (hier ein altes 360°-Panorama).

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Vor etwa zwei Jahren begann bei mir das Umdenken. Mit Sicherheit lag das auch daran, dass wir uns zuvor intensiv mit agilen Methoden beschäftigt und überlegt hatten, wie wir diese in einem kreativen Umfeld einsetzen können. Oder anders gesagt: Unser (und mein) Mindset war in Bewegung geraten, der kollaborative Ansatz stand immer stärker im Vordergrund.

Vor etwa anderthalb Jahren dann der erste Schritt, in einer unserer Agentur-Retrospektiven geäußert und sofort umgesetzt (wir sind ein unglaublich spontanes und engagiertes Team!): Ich wollte raus aus meinem Einzelzimmer am (räumlich gesehen) letzten Ende der Agentur. Ich wollte diese Barriere „Chef-Büro“ nicht mehr haben. Ich wollte einen Schreibtisch mitten im Team. Ich wollte mehr Interaktion und persönlichen Austausch.

Viele Kunden, Lieferanten und Bekannte haben mit Unverständnis reagiert, wenn sie in unserer Agentur zu Besuch waren:

„Du hast kein eigenes Büro mehr? Dann bekommt ja jeder alles mit, wenn du telefonierst!“ Ja, stimmt. Aber ist es schlimm, wenn die Kolleginnen und Kollegen mitbekommen, womit ich mich im Alltag auseinandersetze? Im Gegenteil: Es ist eher hilfreich, trägt zur Transparenz bei und sorgt oftmals auch für ein besseres Verständnis der Sachverhalte.

„Das geht doch nicht. Wo führst du dann vertrauliche Gespräche?“ Die gibt es natürlich. Aber es gibt auch Rückzugsräume, sowohl für persönliche Unterhaltungen als auch für Telefonate. Aber: die Notwendigkeit, sich dafür zurückzuziehen, gab es viel seltener, als ich selbst es vermutet hätte.

„Das ist doch nicht produktiv, du kannst dich ja gar nicht konzentrieren!“ Blödsinn. Diese Vermutung würde zu dem Schluss führen, dass auch meine Kolleginnen und Kollegen (die ja noch nie alleine in einem Büro saßen) unproduktiv und permanent unkonzentriert wären. Und dem ist nicht so.

„Das führt doch niemals zu mehr Transparenz. Dein Team fühlt sich doch überwacht!“ Ja, der Gedanke kam uns auch. Aber vermutlich liegt es in unserer Agentur-DNA, dass mich das nicht lange beschäftigt hat. Wir arbeiten seit Gründung so transparent wie möglich und ich hoffe einfach, dass ich nicht den Eindruck vermittelt habe, alles und jeden überwachen zu wollen.

„Du bist und bleibst Chef. Das muss man auch sehen können.“ Das letzte Argument … Ich habe aufgehört, so zu denken. Natürlich ist mir bewusst, dass ich letztendlich die Verantwortung trage. Aber bis zum allerletzten Moment verstehe ich uns als Team. Durch den Verzicht auf das eigene Büro ist dieser Gedanke auch ganz real und für alle sichtbar geworden.

Und dann, vor etwa einem halben Jahr, der zweite Schritt. Der Auslöser war wieder eine Retrospektive und der darin geäußerte Wunsch, die Teams nicht mehr so stark nach Aufgabenbereichen zu platzieren. Und wie beim letzten Mal wurde das spontan umgesetzt (erwähnte ich schon, dass wir ein ziemlich cooles Team sind?).

Der vermeintliche Haken an der Sache: Irgendwie passte mein Arbeitsplatz nicht mehr ins neue Raumkonzept. Ohne dass es mir richtig bewusst war, hatte ich mit meinem Schreibtisch aber schon seit einigen Wochen gedanklich abgeschlossen. Ich war ohnehin immer häufiger unterwegs und ein eigener Platz kam mir wie Ressourcenverschwendung vor.

Also habe ich meine Sachen auf das Notwendigste reduziert und meinen Schreibtisch geräumt (da sitzt jetzt einer unserer Webentwickler). Stattdessen haben wir inmitten der Agentur einen Community-Table und eine Sofa-Ecke platziert. Dort treffen wir uns noch spontaner als sonst für kurze Absprachen, die Projekte nach vorne bringen. Und wenn ich in Neumünster in der Agentur bin, setze ich mich da hin. Mitten ins Geschehen.

Die oben schon zitierten Sätze höre ich jetzt natürlich noch immer. Manchmal schwingt in den Gesprächen auch ein Funken Bewunderung mit, diesen Schritt gemacht zu haben. Rückblickend kann ich sagen: Es tat nicht weh. Für mich ist entscheidend, dass ich flexibel bin und meinen Arbeitsort nach meinen Tätigkeiten auswählen kann. Ohne diesen „sicheren Hafen“ des eigenen Schreibtischs kann ich diese Flexibilität auch richtig spüren und ausleben – es ist mehr als nur so dahergesagt. Außerdem ist mir wichtig,  dass meine Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich immer erreichbar bin – ob hier am Tisch, in der Bahn, im Büro in Hamburg oder im Café in Frankfurt. Und mir ist es gleich, wo ich arbeite. Hauptsache ich habe mein MacBook, mein Telefon und ein paar Kopfhörer dabei. Ach ja – und ein Ladekabel …